Ent-Negativierung des Menschen
Von Alters her werden die Menschen in gut und böse unterteilt. Die Gefühle des Menschen werden dem folgend ebenfalls in positiv und negativ eingeteilt.
Zwar hat man, von der Psychologie ausgehend schon längst begonnen, Gefühle als wertvoll oder zumindest überlebensnotwendig anzusehen, eine grundlegend positive und verständnisvolle Sicht auf die Gefühle fehlt jedoch bisher. Auch die menschlichen Motive und Beweggründe werden bisweilen noch als negativ betrachtet und für viele Menschen gelten Liebe und Hass noch als die zwei Grundgefühle. Der Hass als Beweggrund und Grundgefühl wird manchen Menschen zugeschrieben und diese Menschen dem folgend als „schlechte“ Menschen eingestuft. Tatsächlich besteht der „Hass“ im körperlichen Zustand der Wut, die von jemandem ungezügelt gelebt wird, weil er der Überzeugung ist, dass jemand oder etwas sein wütendes Verhalten verdient. Das Problem am Haß ist die dahinterliegende Überzeugung, und nicht die Wut, die nichts dafür kann, dass sie von jemandem als destruktive Kraft benutzt wird. Eine andere Unterstellung ist, dass Menschen nach „Macht“ streben. Tatsächlich suchen Menschen nach Einfluss, wenn sie etwas als richtig Erkanntes umsetzen wollen oder Menschen sehnen sich nach Wert-Schätzung und dem folgend den Freudezustand (Selbstwertfreudegefühl) und das ist wahrscheinlicher, wenn sich jemand groß macht (mit der Wut), für andere sichtbar wird und tatsächlich auch der Veränderer ist.
Alle Negativierungen des Menschen bezüglich seiner emotionalen Bewegtheit und seiner Bedürfnisse beruhen auf einer Unkenntnis derselben. Aus den Negativierungen entstehen Ablehnung und Beziehungsbruch. Menschen sind nicht „schlecht“ sondern lediglich emotional unentwickelt und in Unkenntnis ihres Brauchens und Fühlens.
Mit der Erkenntnis, dass es tatsächlich nur vier grundlegend bewegende ganzkörperliche Zustände gibt, die die Grundlage aller Gefühle bilden, wird auch die Sichtweise absurd, den körperlichen Zustand selbst als negativ anzusehen. Weder ist eine muskuläre Anspannung negativ noch eine Erschlaffung der Muskeln. Eine Beschleunigung des Herzschlages ist genauso wenig negativ wie die Verlangsamung. Die Unterscheidung von lustvollen und unlustvollen körperlichen Zuständen ist eine Bewertung, die der Unterscheidung von gut und schlecht folgt und eine grobe Ungenauigkeit darstellt. Was aus dem Zustand der Muskeln, dem Herzschlag, der Atmung, der Körperhaltung und der Wahrnehmung heraus entsteht, ist nicht negativ, wenn man den jeweiligen Zustand erspürt und ihn sich zugesteht. Höchst unangenehm wird es, wenn wir gegen unseren eigenen Zustand ankämpfen statt diesem wohlwollend und verständnisvoll seine Bedeutung, seine Berechtigung und sein Potenzial zuzusprechen. Die Emotionen stellen eine fantastische Grundausstattung dar, die uns bei Bedarf genügend groß (Wut), genügend klein (Angst), genügend offen (Freude), genügend verschlossen (Angst), genügend langsam (Traurigkeit), genügend weich (Traurigkeit), genügend hart (Wut) usw. macht.
Die Unterscheidung von gut und schlecht ist von der Religion her der Versuch, den Menschen eine grobe Vorgabe zu geben, woran sie sich halten sollten und was es zu meiden gilt. Die drastische Bestrafungsvorstellung, dass wir für schlechtes Verhalten im Jenseits bestraft werden, soll den Menschen Angst machen und sie zum „Guten“ zwingen. Dieser religiöse Erziehungsversuch ist jedoch leider selbst das Übel für dessen Heilung er sich hält.
Die negative Sicht auf Wut, Angst und Traurigkeit führt nämlich dazu, diese Gefühlszustände nicht haben zu wollen und dem auch bei anderen Menschen mit Ablehnung zu begegnen. Tatsächlich ist es erforderlich, die Gefahrenmomente von Wut und Angst, Traurigkeit und Freude zu entschärfen und deren Potenzial zur Entfaltung zu bringen (siehe unter Gefahren und Potenzial). Ein Mit-Gefühl ist nicht möglich, wenn die Emotionen selbst, mit denen wir mit-fühlen könnten, negativ betrachtet werden. Leider ist der Sprachgebrauch, wie wir unseren Gefühlszustand beschreiben, überaus grob und negativ. Menschen sprechen davon, dass andere sie „verletzt“ haben oder eine Erfahrung überaus „schmerzvoll“ sei. Wenn wir unseren körperlichen Zustand genauer erspüren, so lassen sich Anspannung, Beschleunigung, Verengung, Verlangsamung, Leichtigkeit und Schwere benennen. Die negative Sicht auf unseren körperlichen Zustand führt dazu, den eigenen Zustand bekämpfen zu müssen. Wir wollen nicht unruhig, angespannt, verengt, verlangsamt und schwer sein. Wir Menschen reden uns täglich gegenseitig ein, dass wir doch keine Angst zu haben brauchen, nicht traurig sein sollen, uns doch nicht so aufregen sollen und uns bitte auch nicht so laut und ausgelassen gebärden sollen. Die negative Sicht auf uns selbst und unsere emotionale Ausstattung führt zu einem Kampf gegen uns selbst. Das Ergebnis davon sind Angststörung, Zwangsstörung, Depression, Borderline, Beziehungsunfähigkeit, Dissozialität, Schlafstörungen und auch alle anderen Störungen.
Die Verhaltenstherapie ergänzt durch die Haltung der Achtsamkeit ist schon recht nahe daran, zumindest der Angst ihren Platz zu geben und doch geht sie bisher nur den halben Weg der Entnegativierung der Angst. Der körperliche Zustand der Angst ist eine großartige Ausstattung des Menschen, durch die wir überhaupt erst dünnhäutig, sensibel, vorsichtig, fürsorglich, selbstüberprüfend und achtsam auf andere sein können – wenn wir dieses Potenzial zur Entfaltung bringen. Es ist nicht erforderlich und auch nicht geboten, den so wichtigen Zustand der Angst zu beenden. Es ist lediglich erforderlich, auch ein bißchen beweglich, offen, leicht und weit zu sein. Es ist also nur nötig, dass der Zustand der Angst nicht dominant ist, und das wird er immer nur dann, wenn Menschen gegen diesen Zustand ankämpfen. Wir Menschen sind dann emotional vollständig, wenn wir Zugang zu allen Emotionen haben, um bei Bedarf genügend offen, verschlossen, hart, weich, groß, klein, beschleunigt, bedächtig, angespannt-kraftvoll oder entspannt zu sein.
Die richtige Haltung zu uns selbst kann in den Prinzipien der Gleichzeitigkeit und der minimalen Freiheit zusammengefasst werden (siehe unter „Neue therapeutische Prinzipien“).
Die Ent-negativierung der Emotionen des Menschen ist keine Beschönigung sondern eine vollkommen logische Herleitung. Die Ent-negativierung des Menschen besteht in vielen weiteren Erkenntnissen, die sich aus dem emotionalen Verständnis des Menschen ableiten lassen. So z.B. die Herleitung, was er braucht (siehe unter „Die Bedürfnisse des Menschen“) bzw hier der link: Link zu Bedürfnisse
Hier ein Erklärungsvideo zur „Ent-Negativierung“ link