Aus der körperlichen Form der vier Grundzustände (siehe „Die vier körperlichen Zustände“) ergibt sich jeweils ein spezifischer Gesamtcharakter, der sein jeweiliges Potenzial zur Entfaltung spezieller Fähigkeiten hat. Gleichzeitig hat jede Form der körperlichen Bewegtheit auch ihre Gefahren, die es zu entschärfen gilt. Um die Fähigkeiten zu entwickeln und Gefahren zu entschärfen, bedarf es eines großen Verstehens, einer sehr guten Selbstwahrnehmung und einer gewissen Intelligenz, die vor allem in einer Lernfähigkeit und Lernoffenheit besteht.
Der Charakter eines Menschen und auch seine Stärken und Schwächen werden von der emotionalen Entwickeltheit bestimmt.
Die Angst: die Qualität: sensibilisierend, dünnhäutig, vorsichtig, klein, eng, achtsam
Das Potenzial: Der körperliche Zustand der Angst bildet die körperliche Grundlage zur Entfaltung von Vorsicht, Achtsamkeit, Sensibilität, Sorge, Fürsorge und Selbstüberprüfung. In der Angst geht der Blick achtsam nach außen und das heißt auch auf andere Menschen. Wenn ein Mensch kaum ängstlich gestimmt ist, so wird er auch kaum sensibel oder achtsam sein können. Der körperliche Zustand der Angst macht uns genügend dünnhäutig, um feinste Schwingungen aufnehmen zu können. Die Angst bewirkt eine Verengung und eine Fokusierung vor allem auf die Gefahrenmomente des Lebens und die liegen vor allem in der Zerbrechlichkeit der zwischenmenschlichen Bezugnahme. Indem ein Mensch sich kleiner macht, bietet er weniger Angriffsfläche und er gibt anderen Menschen mehr Raum.
Die Gefahren: Im Fall zu großer Verengung und Anspannung wird ein Mensch unbeweglich und verschlossen. Bei zu großer Verengung reduziert sich die Wahrnehmung auf die vermeintlichen Gefahren und diese werden sogar übertrieben gesehen. Die Möglichkeiten und die Vielfalt des Lebens werden nicht mehr erfasst und sind auch in der Vorstellung nicht mehr verfügbar. Vor allem im Ankämpfen gegen die Angst, wird noch ein Mehr an Druck erzeugt und die Unmöglichkeit der Ausschaltung des körperlichen Zustandes der Angst, erzeugt noch mehr Hilflosigkeit und in der Folge eine Steigerung des Verengungszustandes. Diese Folge von Negativierung der Angst und Ankämpfen gegen die Angst, ist eine Angst vor der Angst. Diese noch gesteigerte Angst wird Panik genannt.
Die Wut: die Qualität: robustmachend, hart, groß, kalt, distanzierend
Das Potenzial: Der körperliche Zustand der Wut bildet die Grundlage zur Entfaltung von Entschlossenheit, Deutlichkeit, Sichtbarkeit und ist notwendig, um genügend für sich eintreten und auch Freiraum und Distanz schaffen zu können. Die Wut verhilft durch ihre Kraft auch zu Hartnäckigkeit, Robustheit und Standhaftigkeit. Gegenüber einer notwendigen Verunsicherung und Infragestellung, ermöglicht die Wut die notwendige Festigkeit. Nur wer die Wut nicht gegen sich selbst sondern nach außen richtet, ist auch in der Lage genügend für sich einzutreten um sich und seine Bedürfnisse und Interessen sichtbar zu machen. Gegenüber jeder Form von Einengung und auch gegenüber jedem Hindernis entwickelt sich durch die Wut eine Gegenkraft, die Einengung und Hindernis aus dem Weg räumt. Die Wut ist damit eine Veränderungskraft, die für Erweiterung und Freiraum eintritt.
Die Gefahren: Wenn ein Mensch von der Wut ausgelenkt wird, ohne sich dessen bewusst zu sein, so wird er leicht zum Getriebenen der Wut. Es ist deshalb notwendig alle nachfolgend aufgezählten Gefahren durch diese Form der körperlichen Bewegtheit besonders gut zu kennen.
Der Impuls, wegzugehen und Distanz zu schaffen, ist in der Wut sehr mächtig und bildet dadurch eine Beziehungsgefahr. Wer unter dem Eindruck dieser Emotion steht, stellt leicht einmal eine Beziehung gänzlich in Frage. Der Wütende ist in seinem Blick verengt und verallgemeinert sein Urteil durch „Immer“ und „Niemals“-Aussagen, die meist abwerten und aburteilen. Der Wütende unterscheidet schnell auch nur zwischen schwarz und weiß und „Freund“ oder „Feind“. Wer nicht für ihn ist, muss gegen ihn sein. Die Schuld sieht er flugs bei anderen und nicht bei sich selbst. Er macht sich groß und sichtbar und verliert in seinem Eintreten für sich selbst leicht den Blick für die anderen.
Die Traurigkeit: die Qualität: weich und schwer, langsam und bedächtig
Das Potenzial: Der körperliche Zustand bietet eine Entschleunigung an und lädt zur Bedächtigkeit ein. Die Traurigkeit ist ein Appell an jedes Gegenüber zu Zuwendung und Nähe. Sie wirkt erweichend und kann somit auch Verhärtung und Streit deeskalieren und entkrampfen. Die Traurigkeit betont das Brauchen und die Bedürftigkeit, die die Grundlage jeder Bezugnahme sind. Je weiter sich die menschliche Vorstellungsfähigkeit in der Kindheit entwickelt, umso bedeutungsvoller wird das Träumen und Sehnen eines Menschen. Durch die Vorstellungsfähigkeit, wie etwas sein könnte, im Unterschied zu dem, wie es ist, bekommt die Traurigkeit zunehmende und omnipräsente Bedeutung. Die Traurigkeit ist die Voraussetzung der Sehnsucht und verleiht dieser die nötige Tiefe und Ernsthaftigkeit. Die Traurigkeit bekommt also mit der kognitiven Reifung zunehmende Bedeutung.
Die Gefahren: Ein Mensch, der sich mit seiner Traurigkeit zurückzieht, isoliert sich damit von dem, was er eigentlich benötigt, nämlich Zuwendung und Nähe. Die Einsamkeit ist das Ergebnis einer isolierten Traurigkeit.
Eine weitere Gefahr von Rückzug, Weichheit und Schwere ist die Passivität. Wenn die Tränen und auch die Bedächtigkeit nicht dazu führen, zu erkennen, was man eben braucht, so wird man sich auch nicht darum kümmern. Der Kummer verkümmert, statt ein Kümmern auszulösen.
Wenn sich andere Menschen leider nicht erweichen lassen, so ist die Traurigkeit leider eine frustrierende Erfahrung, denn so bleibt der Trau-rige, der sich eigentlich traut und den Mut zur Schwere (Schwer-Mut) aufbringt, damit allein.
Die Freude: die Qualität: leicht, beweglich, weit, öffnend
Das Potenzial: Die Freude ist das Belohnungsgefühl. Indem wir uns freuen können, werden wir für alles belohnt, was die Freude ausgelöst hat. Wenn wir jemandem Wertschätzung ausdrücken, einem anderen Menschen unendgeltlich helfen oder etwas schenken, so schafft der ausgelöste Freudezustand eine Selbstbelohnung. Durch die Freude wird aus einem „Geben“ automatisch auch ein „Nehmen“. Die Freude auch als geteilte Freude, Vorfreude und Nachfreude ermöglicht es unter anderem, dass das soziale gegenüber dissozalem Verhalten überwiegt. Diese Emotion schafft durch Beweglichkeit, Entspannung und Leichtigkeit ein notwendiges Gegengewicht gegenüber Anspannung und Beschleunigung. Was wir als Selbstwertgefühl oder auch als Glück bezeichnen, trägt im Kern den freudigen Körperzustand. Das „Wert“-gefühl eines Menschen ergibt sich aus einem umfassendem Bewusstsein davon, was uns wertvoll macht und wird als Freude gespürt.
Die Gefahren: Die Gefahr der Freude ist Oberflächlichkeit, Übermut und Ruhelosigkeit. Da die Freude sehr stark aktiviert, besteht die Gefahr, dass jemand nicht mehr zur Ruhe kommt und nicht mehr genügend regeneriert. Dies wird auch als Manie bezeichnet. Wenn ein Mensch zu wenig oder gar nicht mehr schläft, so kommt es zu starken Wahrnehmungsverzerrungen und sogar zu Halluzinationen. Unter dem Eindruck der eigenen Beweglichkeit und Offenheit, kann es sein, dass ein Mensch die eigenen Möglichkeiten überschätzt. Das können Beziehungsmöglichkeiten, finanzielle- oder auch berufliche Möglichkeiten sein.
Weitere Potenziale und Gefahrenmomente sind im folgenden Menüpunkt genannt: Wahrnehmungsveränderung durch Emotionen