Pixar-Movies – Alles steht (tatsächlich!) Kopf
Der Regisseur des Films Pete Docter hat mit der Unterstützung eines Emotionsforschers in dem Film „Alles steht Kopf“ einige Vorstellungen über das emotionale Funktionieren eines Menschen in den Raum gestellt, die einer eingehenden Auseinandersetzung bedürfen.
Transportiert der Film eine Ent-Negativierung der Traurigkeit und eine erste Emotionstheorie für die breite Masse?
Dieser Film ist als Chance zu sehen, ein besseres emotionales Verstehen der Menschen zu erreichen, die sich diesen Film anschauen. Es gilt nun allerdings zu klären, inwiefern die gewählte Metapher der „emotionalen Stimmen“ im Kopf zutrifft und wo der Vergleich hinkt. Pete Docter gibt an, dass es ihm mit dem Film darum geht, zu verstehen warum seine Tochter mit 11J. begonnen hat – so wie er selbst im damaligen Alter – stiller zu werden und einen Großteil ihrer Lebendigkeit einzubüßen. Die filmische These, dass es die Traurigkeit (im Film als „Kummer“ bezeichnet) ist, die einen Menschen depressiv macht, ist typisch amerikanisch. Das Ende des Filmes jedoch, in dem die Traurigkeit zur Retterin wird und eine große Nähe in der Familie erzeugt, stimmt sehr optimistisch. Der Film weckt die Hoffnung, dass die Traurigkeit nicht weiterhin negativiert wird und es zu einer grandiosen Umbewertung dieser angeblich negativen Emotion kommen kann.
Die Darstellung von 5 Emotionen entspricht weitgehend dem Forschungsstand und es ist auch nicht mehr strittig, dass diese Emotionen zentrale Bedeutung für die Regulation unseres Verhaltens haben. Bei der Spekulation über die Bedeutungen der Emotionen geht der Film über die trockene und unkonkrete Emotionsforschung weit hinaus und das ist überaus erfreulich. Für die Regulation des Zwischenmenschlichen sind Freude und Traurigkeit herausragend wichtig. Nach dem Umzug der Familie versucht vor allem Riley mit Freude die ersten Schwierigkeiten auszubalancieren. Als jedoch die Schwierigkeiten überwiegen, treten die gröberen und älteren Regulatoren Wut und Angst auf den Plan, die uns beschleunigen und anspannen und damit u.a. für Gefahrensituationen (Angst) und für Freiraumgewinn (Wut) bestens geeignet sind. Riley und ihr Vater stoßen mit der Wut zusammen, wie jeder in dem bekannten Trailer zum Film beobachten kann. Der Ekel wurde richtigerweise als fünfte Emotion hinzugefügt, hat jedoch keine so grundlegend wichtige verhaltensaktivierende Bedeutungen wie die anderen vier Bewegtheiten.
Dass eine Emotion im Kopf sitzt, ist richtig und falsch zugleich, denn eine Emotion ist nicht nur im Kopf sondern zugleich eine ganzkörperliche Bewegtheit. Der amerikanische Hirnforscher Antonio Damasio spricht sogar von der Bühne des Körpers, auf dem die Emotionen stattfinden. Zu sagen, eine Emotion sei „im Kopf“ ist aber per se schon recht ungenau, denn es gilt zumindest grob zwischen älteren und neueren Gehirnteilen zu unterscheiden und die Emotionsaktivierung ist definitiv in den älteren Gehirnteilen zu verorten (Amygdala, limbisches System, Thalamus usw.), die wir mit unseren Säugetierverwandten teilen. Bei uns Menschen ist der Neocortex immens vergrößert und bildet damit einen enormen Überbau, der uns dazu in die Lage versetzt, uns selbst wahrzunehmen und über uns selbst zu reflektieren, so dass wir die notwendigerweise etwas schnelleren emotionalen Reaktionen überdenken und regulieren bzw. beeinflussen und modulieren können.
Einen solchen „Mastermind“ gibt es im Film jedoch nicht und der Film betont damit die Macht der Emotionen. Das ist gut so als Kontrast zur bisherigen Verkopftheit der Sicht des Menschen. Der notwendige Kompromiss liegt in einer Wechselwirkung zweier höchst effek-tiver Systeme: Verstand/Denken/Bewusstsein und Gefühl/emotionale Bewegtheit/Körper. Eine sehr geeignete Metapher dies zu veranschaulichen, ist das Bild von einem Reiter-Pferd-Gespann. Der „Reiter“ steht für das Denken und die Überlegtheit, das „Pferd“ für die relativ autonome und doch auch beeinflussbare emotionale Bewegtheit. Zwei getrennte und doch zusammen arbeitende Systeme, die sich wechselseitig beeinflussen. Für den „Reiter“ gibt es im Film lediglich die Metaphern von einem „Gedankenzug“ und einer Kammer des abstrakten Schreckens, die den Emotionen sogar gefährlich wird.
Was gehört alles zum „Pferd“? Das Pferd ist der gesamte Körper und auch die älteren Gehirnteile. Durch das „Pferd“ werden vorstrukturierte Reaktionen mit unterschiedlichen Stoßrichtungen bereitgestellt, damit sich ein Mensch je nach Bedarf genügend klein (Angst), genügend groß (Wut), genügend weich (Traurigkeit), genügend hart (Wut), genügend offen (Freude), genügend verschlossen (Angst), genügend leicht (Freude) oder genügend schwer (Traurigkeit) zeigt und verhält. Die logischen körperlichen Kontraste bilden ein logisches System, das die Grundlage alle Gefühle bildet.
Wir Menschen sind zugleich Reiter und Pferd und es gilt, ein elegantes Gespann zu werden, das im Einklang miteinander agiert. Üblich ist leider, dass Menschen durch die negative Bewertung der emotionalen Bewegtheit gegen ihre eigene Bewegtheit von Wut, Angst und Trau-rigkeit arbeiten und diese in ihren Potenzialen nicht nutzen, so wie das auch für unsere kleine Heldin noch nicht möglich ist.
Emotionen sind also ganzkörperliche Bewegtheiten, die in einer spezifischen Veränderung vor allem von Muskulatur (und dadurch auch Körperhaltung), Herzschlag und Atmung bestehen und uns damit eine grobe Verhaltensrichtung für verschiedene Situationen bereitstellen. In der Wut werden wir angespannt und machen uns groß, um entschlossen für uns einzutreten. Dem elfjähirgen Mädchen Riley ist ein gezielter Einsatz ihrer Wut noch nicht möglich, denn sie pfeffert ihren Schläger beiseite, statt ihre Wut als Kraft gezielt einzusetzen. In der obigen Metapher gesagt, ist die „Reiterin“ Riley noch mit ihrem „Pferd“ mit seiner organismischen Reaktion der Wut überfordert. Erst am Ende des Filmes wird auch die Wut genutzt, indem sie als Feuerflamme eingesetzt wird, um einen Weg freizumachen.
In der Traurigkeit werden wir verlangsamt, weich und schwer. Der Grund für eine tiefere Traurigkeit liegt in einem Mangel in der zwischenmenschlichen Bezugnahme und die Traurigkeit und vor allem die Tränen sind ein klarer Indikator und eine Botschaft für die Gruppe, sich der betroffenen Person zuzuwenden.
Dass im Film das Signal von Riley bei Lehrerin und Mitschülern nicht ankommt, zeigt eine bestürzende Oberflächlichkeit des emotionalen Verstehens und das Misslingen dessen, was die Evolution mit den Tränen eigentlich bereitgestellt hat und bewirken will, nämlich eine mitfühlende Zuwendung. In Amerika ist es üblich, die Freude zu betonen und wir Deutschen werden gerne belacht als griesgrämige Wesen, denen die Mundwinkel herunterhängen. Mit der Dauerfreude kommt Riley im Film jedoch nicht durch und das ist eine erstaunliche Botschaft, die im krassen Widerspruch zu dem steht, was normalerweise aus Amerika herüberschwappt. Danke Pete Docter!
Noch einmal zurück zur Frage, wer nun die Kontrolle auf der Kommandobrücke hat.
Der Film erweckt den Eindruck, als ob die Emotionen immer die Kontrolle haben. Diese Sichtweise ist einerseits sehr gut, weil der Film damit die Potenz der Emotionen betont. Allerdings ist es natürlich so, dass wir Menschen sehr wohl unsere Bewegtheit von Wut, Trau-rigkeit, Freude und Angst wahrnehmen können und es damit eine übergeordnete Instanz gibt und das ist unser Bewusstsein und unser Vermögen alles zu überdenken und zu durchdenken (- der „Reiter“). Im Film sind es die Emotionen selbst, die denken und miteinander diskutie-ren. Das ist filmisch interessant aber natürlich nicht richtig.
Bisher wurde der Mensch eher als rationales Wesen gesehen, der dadurch existent wird, dass er ausgehend von Descartes sagen konnte „Ich denke also bin ich“. Es ist jedoch unser Körper mit seinen Muskeln, den wir über die ganzen Nervenbahnen so gut spüren können und durch den wir uns unmittelbar erleben können. Dadurch können wir potenziell auch sagen „Ich fühle mich und meinen Körper, also bin ich“. Die vier Emotionen bestehen sämtlich in einer kör-perlichen Aktivierung und sind damit nicht nur „im Kopf“. Der muskuläre Zustand von Anspannung und Entspannung, Enge und Weite, hat außerdem einen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung und unser Denken, bzw. auf den Verlauf unserer Gedanken. Im Film kommt das in der Weise zum Ausdruck, dass die Traurigkeit in der Lage ist, alle Erinnerungen traurig einzutönen. Durch eine momentane Stimmung werden Vergangenheit und Zukunft anders wahrgenommen und „eingefärbt“, dies ist jedoch nur für den Augenblick so. Richtiger ist es deshalb zu sagen, dass die gesamte aktuelle Wahrnehmung verändert wird, denn einmal emotional verknüpfte Erinnerungen sind sehr stabil.
Die Freude, die Riley in Bezug auf das Eishockey eigentlich hat, ist momentan nicht verfügbar, weil Traurigkeit oder auch Angst der momentan beherrschende Körperzustand ist. Die Emotionen stehen durch ihren kontrastierenden Charakter in einem wechselseitigen Verdrängungsverhältnis. Bezogen auf den gedrückten Zustand von Riley in der Fremde ist zu fragen, ob es nicht vorranging die Angst ist, von der das Mädchen vorübergehend dominiert wird, denn die Angst – und nicht die Traurigkeit! – ist der Zustand, in dem wir verengt werden, uns als hilflos erleben und uns selbst damit keine positive Prognose geben können.
Nun weiter zu dem, was der Film an richtiger Vorstellung transportiert. Am Schaltpult kann immer nur eine Emotion das Sagen haben. Das ist richtig, denn rein körperlich gesehen, kön-nen wir nicht gleichzeitig entspannt sein, wenn wir gerade angespannt sind und umgekehrt. Emotionen folgen deshalb aufeinander und lösen sich darin ab, verhaltensbestimmende Wirkung zu haben.
Welche Emotion vorrangig ist und welche Emotion wie gut verfügbar ist, ist eine Frage der emotionalen Entwicklung. Einen koordinierten Ablauf der Emotionen und eine effektive Nut-zung der Stärken der einzelnen Emotionen sind der elfjährigen Hauptdarstellerin noch nicht möglich und so herrscht entsprechend Chaos. Bei Vater und Mutter werden die Emotionen als gereifte Erwachsene dargestellt. Bei der Mutter erscheint die Traurigkeit sogar sehr weise und verständig und scheint eine maßgebliche Stimme im Parlament der Emotionen zu haben. Mit einem tieferen Verstehen von emotionaler Entwicklung, ist es allerdings keinesfalls so, dass bei einem Erwachsenen alle Emotionen entwickelt und gereift sind.
Schön wärs, wenn das so einfach wäre. Als Psychotherapeut arbeite ich täglich daran, Men-schen bei der Entwicklung ihrer Emotionen zu helfen und vor allem derjenigen Emotion, die am meisten der Entwicklung und Verankerung bedarf. Um im Bild des Filmes zu bleiben, ist es deshalb leider so, dass die Emotionen jedes Menschen sehr unterschiedlich gereift sind. Bisweilen haben sie nicht einmal eine Stimme im Parlament bzw. keinen Zugang zur Kommandobrücke.
Als nach dem Umzug und dem Wegfall von Freunden und dem geliebtem Eishockey die Traurigkeit überwiegt, versucht die Freude vollkommen überdreht die Traurigkeit in ihre Schranken zu weisen. Die Freude wird vom Zuschauer als aufdringlich und plappernd empfunden, denn die Freude erscheint hyperaktiv und richtet dennoch nichts aus. Hier deutet sich eine Wende an, dass die Freude in ihrer Dominanz an ihre Grenzen stößt und zu Unrecht bisher im Film die Regentschaft an sich gerissen hat.
Filmisch wird die Traurigkeit bis hierher sehr negativ dargestellt und zieht viele Lacher auf sich. Sie erscheint gelähmt, dauermüde und ohne jeglichen Antrieb. Dem Zuschauer wird nahegelegt, die Traurigkeit als Depression zu sehen. Dies wäre eine sehr gefährliche und falsche Auslegung des Filmes. Die Traurigkeit ist zwar ein Zustand muskulärer Erschlaffung aber damit wird eine notwendige Entschleunigung, Langsamkeit, Bedächtigkeit, Ernsthaftigkeit und Innerlichkeit ermöglicht. Der Film bekommt eine erstaunlich unamerikanische Wendung, als es die Traurigkeit („Kummer“) ist, die den traurigen alten Fantasiefreund durch Ernsthaf-tigkeit, Verständnis und Innerlichkeit wieder zu sich führt und er damit wieder in Aufbruchstimmung kommt. „Kummer“ ermöglicht also „kümmern“.
Als die elfjährige sich vor die neue Klasse stellt und dort bekennt, dass sie traurig ist und ihre alte Umgebung vermisst und sogar weint, so bleibt sie damit allein. Als Zuschauer möchte man sie gerne in den Arm nehmen und hofft, dass diese wunderbare Offenheit und dieses Signal des Brauchens die Klasse und die Lehrerin berühren. Es ist wirklich schlimm, dass die Lehrerin nicht in der Lage ist, die Elfjährige mit ihrem Gefühl zu bestätigen und eine großartige Nähe herzustellen. Dadurch bleibt das Mädchen allein mit ihrer Traurigkeit und diese Emotion entfaltet damit keine Wirkung. Am Ende des Filmes kommt es jedoch zu dem, was man als Zuschauer an dieser Stelle hat missen müssen. Am Ende kehrt sie zu ihren Eltern zurück, nachdem sie ausbüchsen wollte. Die Eltern können die Traurigkeit ihrer Tochter verstehen und schwingen mit. Dadurch entsteht eine große Nähe und die finale Umarmung.
In diesem Moment kommt es zu einem fließenden Übergang von Traurigkeit zu Freude. Traurigkeit und Freude sind versöhnt und das entspricht einem reifen Miteinander dieser beiden Emotionen, die Geschwister sind. Sie liegen logisch nebeneinander als „Brauchen“ und Erfüllung eines Brauchens. Bei dieser erstaunlichen Wendung vom hässlichen Entlein zu einer goldenen Emotion, verwundert die deutsche Namensgebung der Traurigkeit als „Kummer“, die eine eindeutig abwertende Assoziation erweckt. Sollten die deutschen Übersetzer nicht mitbekommen haben, wohin der Film eigentlich führt?
Der Film leitet eine Umbewertung aller bisherigen Sichtweisen ein, denn keiner der körperlichen Grundzustände ist an sich negativ.
Jeder der Körperzustände Wut, Angst, Traurigkeit und Freude ist die Grundlage von entwickelbaren Fähigkeiten und der Ausgangspunkt von Gefahren.
Jeder Mensch benötigt eine Kultivierung seiner Emotionen.
So verhilft uns der körperliche Zustand der Traurigkeit zu Ernsthaftigkeit, Innerlichkeit, Bedächtigkeit und Nähe, während die Angst die Grundlage von Sorge, Fürsorge, Vorsicht, Achtsamkeit und Sensibilität ist. Die Wut hilft uns zu Entschlossenheit, Grenzziehung, Freiraum und Direktheit und die Freude kann bei entsprechender Verankerung in die goldenen Gewänder von Zufriedenheit, Dankbarkeit, Selbstwertgefühl und Glück schlüpfen.