Jede Vermeidung von Angst verstärkt die Negativierung und den Kampf gegen diesen körperlichen Grundzustand
Zunächst muss man sagen, dass der Begriff „Angststörung“ irreführend ist. Die Angst selbst ist eine der vier körperlichen/emotionalen Grundbewegtheiten mit immenser Bedeutung und deshalb sollte man besser von einer Gestörtheit im Umgang mit diesem Zustand sprechen. Besser noch ist es, von einer ängstlichen Unentwickeltheit zu sprechen.
Der Körper wird in der ängstlichen Bewegtheit zu einem feineren Messfühler und macht den Menschen sensibler und dadurch vorsichtiger und achtsamer nach außen. Sorge, Fürsorge und Achtsamkeit sind die kultivierten Formen der Angst, für die der körperliche Zustand der Angst die Voraussetzung bildet. Wenn ein Mensch jedoch nicht gelernt hat, die Angst in ihrer körperlichen Form wahrzunehmen und auch kein Vorbild dafür hatte, wie die Angst auch in ihrer kultivierten Form aussieht, der ist schnell mit der körperlichen Erscheinung der Angst überfordert. Deshalb kann man sagen, dass die Angst in ihrer Entwicklung gestört worden ist, bzw. einem Mensch nicht beigebracht wurde, den ängstlichen Körperzustand gelassen wahrnehmen zu können, das Potenzial der Angst zu entfalten und deren Gefahren zu entschärfen. Die Gefahr der Ängstigung/Verengung liegt darin, dass die Anspannung zur Verkrampfung und Lähmung wird, dass die Verengung zur Verschlossenheit wird, dass nicht mehr nachgedacht werden kann und dass die Angst die körperlichen Zustände von Freude und Wut vollkommen ausschließt (->Depression). Ein Mensch, der seinen eigenen körperlichen Zustand der Angst nicht kennt, diesen Zustand als negativ bewertet und dann dagegen ankämpft, landet zwangsläufig in einem Kampf gegen sich selbst. Wenn man gegen die Angst ankämpft, so erzeugt man aber zwangsläufig mehr von der Angst (Panik genannt), da sich ein Überlebensgefühl nicht unterdrücken lässt und sich mit aller Macht äußern will. Die Schlüsselkompetenz im Umgang mit jeder Emotion ist die sehr konkrete Selbstwahrnehmung von Muskelzustand, Herzschlag und Atmung. Jede negative Bewertung von Anspannung und Beschleunigung führen dahin, diese nicht haben zu wollen und dagegen zu kämpfen. Wenn man also mit der Angst ins Reine kommen will, ist es erforderlich, jede Ablehnung und Vermeidung dieses Zustandes abzulegen. Die Gabe von Medikamenten, die die Angst unterdrücken sollen, beruhen auf ebendieser falschen Haltung, diese Emotion zu bekämpfen und abzulehnen. Die Verschreibung von Medikamenten und die tägliche Einnahme derselben sind nichts anderes wie eine Vermeidung der Angst. Dies führt dazu, dass ein Mensch weder lernt, die Angst für sich zu nutzen noch deren Gefahren zu entschärfen. Medikamente leiten im Gegenteil dazu an, sich selbst lieber nicht wahrzunehmen. Außerdem suggeriert die Einnahme des Medikaments jedem Angstpatienten eine weitere fatale Botschaft, nämlich dass es notwendig sei, den Angstzustand abzuschwächen. Menschen, die ihren eigenen ängstlichen Körperzustand als bedrohlich ansehen, glauben zumeist, dass das Ausmass der Angst keine Grenzen kennt. Das ist natürlich falsch aber diese Meinung wird durch die Medikamenteneinnahme noch weiter verfestigt und genährt. Je länger ein Mensch angstsenkende Mittel einnimmt umso mehr verfestigt sich sein Glaube, dass er sich der Angst nicht mehr ohne Medikament stellen kann. Die Pharmaindustrie hat gewonnen.
Nun gibt es noch zwei weitere verbreitete ärztliche Fehlmeinungen, was eine erfolgreiche Angstbehandlung sei. Erste Fehlmeinung: Erfolgreich müsse eine Behandlung sein, wenn jemand das wieder tue, was er sich einmal nicht mehr traute. Die Bewältigung einer Situation, wie z.B. einen Fahrstuhl zu betreten, ist vom Handlungsablauf jedoch keine große Leistung. Die eigentliche Bewältigung besteht darin, mit seinem eigenen körperlichen Zustand umgehen zu können. Eine Pille einzuwerfen, um seine Emotion auszuschalten und dann einen Fahrstuhl zu betreten, ist keine Leistung und kein erfolgreicher Umgang mit der Angst. Viele Ärzte wie auch psychoanalytisch orientierte Psychologen haben außerdem die Meinung, jede „Angst“ habe als Hintergrund eine traumatische Erfahrung in der Kindheit zum Ausgangspunkt. Das ist Unsinn. (siehe dazu auch den blog „Wachsen am Trauma“) Was ist jedoch richtig?
Die Angst ist eine höchst bedeutsame und grundlegende körperliche Bewegtheit, ohne die ein Mensch zu einem völlig unsozialen Wesen wird. Angst wird immer dann zum Problem, wenn ein Mensch in seinem Umgang mit der Angst und einer entsprechenden Selbstwahrnehmung nicht gefördert wurde. Ein Mensch, der gelernt hat seine Angst wahrzunehmen, zu nutzen und mit ihr wohlwollend umzugehen, der wird auch in der Lage sein, mit ängstigenden Lebensereignissen besser umzugehen, weil er sich mit dem entscheidenden Teil einer Bedrohlichkeit bereits gut auskennt, nämlich der eigenen ängstlichen Bewegtheit.
Es werden von Forschern immer realistischere Konfrontationsübungen ausgedacht, um Angstpatienten mit z.B. Ängsten vor Menschenmengen besser konfrontieren zu können. Das ist ziemlich lächerlich, weil die entscheidende Konfrontation die Konfrontation mit dem eigenen körperlichen Zustand ist.
Solange ein Mensch noch eine negative Bewertung seiner ängstlichen Bewegtheit z.B. in Form von Anspannung und Unruhe vornimmt, wird er dagegen ankämpfen. Anspannung und Unruhe sind notwendige Kategorien unserer körperlichen Befindlichkeit und nicht negativ.
Die negative Bewertung von körperlichen Zuständen ist selbst die Ursache aller Probleme und hält sich aber für deren Lösung und für eine Weiterentwicklung des Menschen.